Hugo Sax, Infektiologe und Leiter Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich im Interview mit Lyreco

Die Grippewelle in Zeiten von Corona

Der Winter steht vor der Tür – und mit ihm ein erhöhtes Risiko, sich mit einer Grippe anzustecken. Hugo Sax, Infektiologe und Leiter Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich, erklärt, wie sich insbesondere Mitarbeitende vor einer Ansteckung schützen können. Und was es in Zeiten von Corona besonders zu berücksichtigen gilt.

Herr Sax, wann spricht man von einer Grippewelle?

Unter Grippe versteht man im Volksmund eine Erkältungskrankheit mit schwereren Symptomen wie Muskelschmerzen und Fieber, die uns ans Bett fesseln. Im engeren Sinn bezeichnet «Grippe» eine Infektion mit dem Influenzavirus. Diese Infektion tritt jedes Jahr als Pandemie global auf: Mit Beginn im Fernen Osten breitet sich diese im Winter auf der Südhalbkugel weiter aus, bis sie in Europa und der Schweiz zur Winterzeit ankommt – meist nach den Feiertagen. Mittlerweile wissen wir, dass Influenza viele Erscheinungsbilder haben kann: von einem leichten Schnupfen bis zu schweren Krankheitsverläufen mit Lungenentzündungen, einem Aufenthalt auf der Intensivstation und Tod. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Viren, die Erkältungskrankheiten mit ähnlichen, wenn auch im Durchschnitt leichteren Symptomen auslösen können. Zum Beispiel das Respiratory Syncytial Virus, das Rhinovirus, das Metapneumovirus (eine banale Form von Coronavirus) und viele mehr. Im Einzelfall sind die Symptome all dieser Erkrankungen kaum voneinander zu unterscheiden. Das gilt auch für das Virus der aktuellen Pandemie: das Severe Acute Respiratory Syndrom Coronavirus 2 (SARS-CoV-2).

 

Welches sind die Risiken?

Wie beim SARS-CoV-2 sind Menschen mit einem geschwächten Immunsystem besonders gefährdet für schwere, teils tödliche Verläufe durch eine Infektion mit Influenza. Dazu gehören unter anderem Menschen in höherem Alter oder Schwangere sowie Personen mit Zuckerkrankheit, immunsuppressiver Therapie wegen rheumatischen Erkrankungen, Transplantation oder Krebs sowie Lungenerkrankungen. Im Verlauf einer Influenza kann es durch Schädigung der Lunge zu einer Zweitinfektion durch Bakterien kommen – häufig durch sogenannte Staphylokokken, die viele Menschen ohne Symptome in sich tragen.

Hugo Sax, Infektiologe und Leiter Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich im Interview mit Lyreco

Grippewellen suchen uns jedes Jahr von Neuem heim, wobei sie den gesamten Erdball befallen.

Hugo Sax
Infektiologe und Leiter Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich

Gibt es eine Möglichkeit, eine Grippe von Corona zu unterscheiden?

Klare Unterschiede nur aufgrund der Symptome ohne Testung sind nicht möglich. Auch bei SARS-CoV-2-Infektionen gibt es von leichten Symptomen bis zu schweren, in manchen Fällen tödlichen Infektionen alle Manifestationen. Symptome können aber auch ganz ausbleiben, sowohl bei der Influenza wie auch bei SARS-CoV-2. Statistisch häufig kommt es bei SARS-CoV-2 zu Geruchs- und Geschmacksstörungen wie auch zu Durchfall. Im Einzelfall kann man eine Influenza deshalb nicht von Corona unterscheiden.

 

Wie verhält man sich bei ersten Anzeichen richtig?

Im Falle einer Ansteckung braucht ein Virus in der Regel Zeit, um sich im Körper zu vermehren. Je nachdem, wie hoch die Anzahl der Viren im Nasenrachenraum ist, kann ein Test deshalb negativ ausfallen, wenn er zu früh gemacht wird. Bei einer Influenza ist man etwa 24 Stunden, bevor erste Symptome auftreten, ansteckend. Bei Corona geht man davon aus, dass eine Ansteckung schon zwei bis drei Tage vor dem Auftreten erster Symptome möglich ist. Man spricht hier von einer präsymptomatischen Phase. Das Gefährliche dabei ist, dass man in dieser Phase eine ganze Reihe von Personen infiziert haben könnte, ohne es zu wissen – sowohl mit Grippe- als auch mit Coronaviren. Und wo gar keine Symptome auftreten, dauert das Ansteckungsrisiko sogar noch länger. Das ist das Perfide an SARS-CoV-2: Man kann die Ausbreitung ohne Quarantäne nach einer Exposition nicht verhindern. Bei Ebola beispielsweise ist das anders, eine Ansteckung ist erst mit dem Auftreten der ersten Symptome möglich. Leute, die exponiert waren, können zweimal am Tag Fieber messen und auf Symptome achten. Erst sobald diese auftreten, muss man in Isolation, wodurch sich eine Ansteckung verhindern lässt. Bei SARS-CoV-2, aber auch bei der Influenza, gibt es im Zweifelsfall nur eines: Abstand halten, Maske tragen, Hände waschen.

 

Was kann man also tun, um in Bezug auf Corona auf Nummer sicher zu gehen?

Wenn man eine Exposition hatte wie zum Beispiel an einer Party, einem Geburtstagsfest oder einer Veranstaltung, wo viele Menschen auf relativ engem Raum beisammen waren und man sich nicht oder zu wenig geschützt hat, sollte man sich in Quarantäne begeben. Nur so lässt sich verhindern, dass weitere Personen angesteckt werden. Um eine asymptomatische oder präsymptomatische Phase des Virus möglichst früh zu erwischen, wird empfohlen, am fünften Tag nach einer Exposition einen Test durchzuführen. Man muss aber auch bei negativem Resultat in Quarantäne bleiben, denn der Test kann wie gesagt auch nach mehr als fünf Tagen nach der Exposition positiv werden.

 

Wo liegen die grössten Gefahrenherde für eine Grippeansteckung?

Bei Influenza wie auch bei SARS-CoV-2 sind die Ansteckungsgefahren dieselben. Sprich: Tröpfcheninfektion, ungenügender Abstand oder das Anfassen von virenbefallenen Oberflächen. Das ist übrigens bei allen Viren so, die dieselben Symptome hervorrufen können wie bei einer Influenza. Ein klassisches Beispiel für Übertragungsherde sind Türgriffe: Fasse ich mir danach ins Gesicht oder esse mein Brötchen, ohne meine Hände gewaschen oder desinfiziert zu haben, sind die Chancen einer Virenübertragung relativ gross. Natürlich ist alles aber immer auch eine Frage der Menge. Wie viele Viren für eine Übertragung nötig sind, weiss man noch nicht. Ein wichtiger Faktor für die Anfälligkeit einer Person ist aber auch das Immunsystem.

Im Zweifelsfall gibt es nur eines: Abstand halten, Maske tragen, Hände waschen.

Hugo Sax
Infektiologe und Leiter Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich

Was kann ein Unternehmen tun, um seine Mitarbeitenden besser zu schützen? Was sind die wichtigsten Massnahmen?

Viele Krankheiten sind saisonal bedingt, wobei man annimmt, dass der Winter eine wichtige Rolle bei der Übertragung von Viren spielt. Menschen halten sich dann vermehrt in Innenräumen auf, die oftmals lange nicht gelüftet werden. Und man sitzt enger zusammen, zum Beispiel im Bus oder im Tram. Wirksame Massnahmen gegen Influenza, aber auch Corona, sind einmal mehr dieselben: den Abstand von eineinhalb Metern einhalten, Räume regelmässig lüften, die Hygieneregeln beachten – und wo nötig eine Maske tragen. Zudem kann man sich gegen die Influenza impfen lassen. Sinn macht das bei Menschen, die täglich oder sehr häufig mit Risikopersonen zu tun haben. Zum Beispiel in der Pflege, aber auch privat. Weil das Immunsystem von gesunden Personen ein besseres Gedächtnis aufbauen kann nach einer Impfung, kann diese Prävention als eine Art «Ringschutz» verstanden werden, um schwächere Personen zu schützen. Für die Bevölkerung ist es jedoch wichtig zu wissen, dass eine Impfung jeweils nur gegen die aktuelle Influenza schützt, also nur eine Saison anhält. Mit anderen Erkältungsviren kann man sich dennoch anstecken – oder mit SARS-CoV-2. Aber zumindest müssen dann weniger Menschen mit Symptomen auf SARS-CoV-2 getestet werden.

 

Gibt es weitere Massnahmen, die man auch im privaten Umfeld beachten sollte?

Gefährlich sind momentan Situationen, die den eigentlichen Sinn des sozialen Zusammenseins ausmachen: wo man zusammenkommt, um ausgelassen zu sein. Gerade in Momenten, die unser Leben lebenswert machen, liegen grosse Gefahrenherde. Denn wo wir ungezwungen lachen, singen oder tanzen, haben Viren ein besonders leichtes Spiel, sich auszubreiten. An Familienfeiern genauso wie an Partys, in der Yogaklasse oder beim Nahkampfsport. Das liegt zum einen an der Übertragung durch Tröpfchen des Gegenübers in der Luft, die wir durch genügend Abstand vermeiden können. Zum anderen ist eine hohe Konzentration von Viren in Form von Aerosolen zu reduzieren. Je kleiner ihr Volumen in der Luft ist, desto geringer sind die Chancen einer Übertragung. Deshalb hilft es, Räume regelmässig und gut zu lüften.

 

 

Mit welchen Massnahmen kommen Sie persönlich gesund durch den Winter?

Mein Team und ich arbeiten täglich mit SARS-CoV-2-Patienten. Bei Patientenbesuchen tragen wir die üblichen zertifizierten chirurgischen Schutzmasken, wie viele Menschen dies heutzutage tun. Damit fühlen wir uns absolut sicher. Daneben tragen wir in Patientennähe eine Schutzbrille, um einer Übertragung über die Augen vorzubeugen. Mein aktuelles Credo lautet: Gehe immer davon aus, dass die anderen ansteckend sind. Also schütze ich mich. Mit den eingehaltenen Massnahmen kann ich jederzeit sagen, dass ich mich wohlfühle. Bisher bin ich damit auch gut durch den Winter gekommen – ohne eine einzige Erkältung. Ich hoffe, das bleibt so.

Die Konzentration an Aerosolen spielt eine massgebende Rolle bei der Übertragung von Viren.

Hugo Sax
Infektiologe und Leiter Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich

Zur Person

Hugo Sax arbeitet seit rund acht Jahren als Infektiologe und Leiter Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich (USZ) sowie als Chef-Grenzarzt am Flughafen Zürich. 2015 gründete er die Research-Gruppe Human Factors and Infection Prevention Laboratories in Zürich: humanlabz.org.

Hugo Sax, Infektiologe und Leiter Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich im Interview mit Lyreco