Dr. Joël Luc Cachelin (1981) hat an der Universität St. Gallen studiert und promoviert. Seit 2009 ist er Geschäftsführer der Wissensfabrik und Sachbuchautor. Sein letztes Werk «Internetgott – Die Religion des Silicon Valley» ist 2017 im Stämpfli Verlag erschienen.

Zukunft, wo führst du uns hin?

Die Digitalisierung und der technologische Fortschritt wirken gnadenlos. Was braucht die Gesellschaft, um mit der digitalen Transformation Schritt zu halten? Wie bereiten wir unsere Kinder auf eine Zukunft vor, von der wir keine Ahnung haben, wie sie aussehen wird? Joël Luc Cachelin zählt zu den führenden «digitalen Vordenkern» der Schweiz. Mit ihm haben wir einen Blick in die Zukunft gewagt.

Der weitere Verlauf der Digitalisierung wird unsere Zukunft bestimmen. Welche Megatrends zeichnen sich ab?

Joël Luc Cachelin: Das Thema Datenschutz wird uns sicher beschäftigen, denn wir werden in Zukunft noch mehr Daten hinterlassen. Wem gehören sie? Welches Wissen steckt in ihnen? Wie können wir Herr über unsere Daten bleiben? Nah am Thema Daten angesiedelt ist die künstliche Intelligenz, die ja durch Daten entsteht. Auch das Thema Ökologie wird uns verstärkt beschäftigen. Einerseits aufgrund des Klimawandels, andererseits weil wir im Zuge der Digitalisierung viele Rohstoffe und enorm viel Energie benötigen – allein durch die Tatsache, dass wir alle zwei Jahre das Smartphone wechseln. Je mehr digitale Geräte wir um uns haben, desto mehr steigt der Stromverbrauch. Hinzu kommt die globale Perspektive: Viele Länder sind im technologischen Bereich rückständig, trachten aber nach dem gleichen Digitalisierungsgrad wie wir. Wir sehen aber auch, dass wir gerade durch die Digitalisierung intelligenter mit Rohstoffen und Energie umgehen können, zum Beispiel durch die Sharing Economy.

 

Wovor fürchten Sie sich, wenn Sie an die Zukunft denken?

Die Frage bezüglich Ressourcen und Rohstoffen macht mir Sorgen, aber auch jene, wie viel Selbst­bestimmung wir in Zukunft haben werden. Was geschieht, wenn grosse, unsichtbare Unternehmen entstehen, die Macht auf uns ausüben? Meine grösste Angst jedoch besteht darin, dass sich die Gesellschaft gegen Reformen sperrt. Wenn wir nicht den Mut haben, über Sozialversicherungen, Bildung, Infrastruktur und Steuern der Zukunft nachzudenken, führt uns der Weg definitiv in eine Zweiklassengesellschaft. Die Wahrscheinlichkeit von destruk­tivem Widerstand würde sich entsprechend verstärken.

 

Was bräuchte es denn, um dem entgegenzuwirken?

Wir müssen über Bildung nachdenken: Wie sieht ein Bildungssystem aus, das die Menschen für eine ganz neue Arbeitswelt befähigt? Das ist die eine Baustelle. Die andere sind die Sozialversicherungen. Wie sehen sie künftig aus? Das Thema Grund­einkommen wird kommen und damit die Frage der Finanzierung. Worauf erheben wir in Zukunft Steuern? Nach wie vor auf Arbeit? Oder Kapital, den ökolo­gischen Fussabdruck, Daten? Auch die Frage der Infrastruktur ist nicht geklärt. Wir verfügen noch nicht über ein flächendeckendes Glasfasernetz. Man muss den Leuten aber Zugang zu schnellem Internet gewährleisten. Es tut sich also ein ganzer Rattenschwanz an Fragen auf.

Dr. Joël Luc Cachelin (1981) hat an der Universität St. Gallen studiert und promoviert. Seit 2009 ist er Geschäftsführer der Wissensfabrik und Sachbuchautor. Sein letztes Werk «Internetgott – Die Religion des Silicon Valley» ist 2017 im Stämpfli Verlag erschienen.

Wir müssen über Bildung nachdenken: Wie sieht ein Bildungs­system aus, das die Menschen für eine ganz neue Arbeitswelt befähigt?

Joël Luc Cachelin

Sie haben es angedeutet: Unsere Kinder werden Berufe ausüben, die es heute noch gar nicht gibt. Welche Berufswahl oder welches Studium empfehlen Sie 14-Jährigen, wenn sie mit einem erfüllten Berufsleben rechnen wollen?

Ich glaube, in einer Welt der vielen Veränderungen stösst das Konzept des Berufs an Grenzen. Kaum jemand wird einen Beruf lernen, den er oder sie ein Leben lang ausführt. Umso mehr, wenn wir bis 70 oder gar 75 arbeiten werden. Entsprechend werden wir ganz unterschiedliche Rollen ausüben. Neue Tätigkeitsfelder werden in den Bereichen Kunst, Kreativität, Daten, Abfall und Recycling, Bildung, Gesundheit, Fitness und Wellness ent­stehen. Die Fähigkeit, sich selber zu organisieren, ist zentral in der Zukunft der Arbeit.

 

Dann werden wir alle unsere eigenen Unternehmer sein?

Ja, das wäre die krasse Zuspitzung dieser These.

 

Um nochmals auf die 14-Jährigen zurückzu­kommen: Welche Fertigkeiten sollen sie sich denn nun anei­gnen?

Studien heben soziale Kompetenzen, Phantasie, Kreativität und kritisches Denken hervor. Es sind alles Fähigkeiten, die uns von der Maschine unterscheiden. Sie verweisen auch auf handwerkliches Geschick, weil Maschinen kostenintensiv und ungeschickt sind. Man sagt, dass kreative Menschen die zukünftige Elite sein werden. Für Eltern ist es also wichtig, dem Thema Kreativität mehr ­Bedeutung zu schenken.

 

Oft liest man, dass der soziale Wert der Arbeit steigen und das Lebensmodell nicht mehr auf bezahlte Arbeit ausgerichtet sein wird. Wie muss man sich das genau vorstellen?

Das Gedankenspiel für uns als Gesellschaft ist das folgende: Was würden wir machen, wenn es tatsächlich nur noch für die Hälfte der Menschen Arbeit gäbe? Durch den Einsatz von Maschinen sparen wir Kosten und Zeit ein. Wir erwirtschaften also eine sogenannte Digitalisierungsrendite. Ungewiss ist, was mit dieser Rendite passiert. Wer profitiert von den ersparten Kosten, wie und wo setzt man sie wieder ein? Eine Gemeinschaft könnte Tätigkeiten aufwerten, die wir heute nicht explizit als Arbeit bezeichnen, wie etwa gemeinnützige Arbeiten, sich um ältere Menschen kümmern, Mittagstische betreuen usw.

 

Das stellt das Wertesystem unserer Leistungsgesellschaft ziemlich auf den Kopf. Müssen wir uns neu definieren?

Das steht zumindest zur Diskussion. Wie wichtig sind künftig Geld und Wachstum? Gewinnen andere Grössen wie Zeit an Bedeutung? Wer profitiert vom digitalen Fortschritt? Durch den gegenwärtigen Strukturwandel entsteht ein Zeitfenster, um sehr grundsätzliche Fragen zu diskutieren. Wir diskutieren eigentlich zu wenig über die Frage, was der Mensch in Zukunft sein soll und wie viel Zeit wir vor Bild­schirmen und in virtuellen Welten bewegen wollen.

 

Braucht es dazu eine neue Achtsamkeit?

Ja, es wird wesentlich, uns zu regenerieren, inspirieren zu lassen, uns abzugrenzen, zu erkennen, worauf wir Lust haben, was wir können und was nicht. Ein Waldspaziergang könnte mehr bringen, als Stunden vor dem Bildschirm zu verbringen. Entsprechend braucht es ein auf Vertrauen basiertes, konstruktives Umfeld.

Die Fähigkeit, sich selber zu organisieren, wird immer mehr an Bedeutung gewinnen.

Joël Luc Cachelin

Wie sehen denn die Arbeitsmodelle in zehn bis zwanzig Jahren aus?

Die heutigen Strukturen mit Abteilungen, Hierarchien und Unternehmensgrenzen werden an Bedeutung verlieren. Menschen werden vermehrt in Projekten und für verschiedene Unternehmen gleichzeitig tätig sein. Es wird einen bunten Mix aus Arbeitsmodellen geben.

 

Wie wird sich das Rollenverständnis der Führungskräfte entwickeln?

Sie werden andere Rollen innehaben. Statt zu kontrollieren und kommandieren, werden sie coachen, moderieren, vernetzen und inspirieren. Wichtiger als Push wird Pull, also die Fähigkeit die Potenziale eines Teams zu erkennen, zu fördern und zu nutzen.

 

Welche Anforderungen werden die kommenden Generationen an einen Arbeitgeber stellen?

Man kommt weg vom Denken in Generationen. Es sind vielmehr unterschiedliche Lebensphilosophien, die entscheiden, wie sich jemand als Arbeitnehmer verhält und welche Erwartungen er an einen Arbeitgeber hat. Trotzdem: Die Generation Y erwartet eine gewisse digitale Arbeitsumgebung, erwartet Home-Office, will mitreden. Man sagt auch, dass die Generation Z mehr auf Grenzen setzt und Beruf und Freizeit wieder mehr trennen will.

 

Wie sieht der Arbeitsplatz der Zukunft in den Unternehmen aus?

Das Einzelbüro verschwindet, Unternehmen werden Räumlichkeiten häufig teilen. Durch Coworking entstehen neue Formen der Zusammenarbeit und Vernetzung. Als Gemeinschaft hat man einfach ein grösseres kreatives Potenzial.

 

Sie sind auch selbständig. Haben Sie ein fixes Büro, oder arbeiten Sie unterwegs?

Zurzeit arbeite ich sehr viel im Zug. Mir spielt der Ort keine Rolle. Ich benötige einfach den Laptop.

 

Eine letzte Frage: Werden Roboter unsere Freunde oder Feinde sein?

Ich habe keine Angst vor den Robotern. Die Menschen, welche die Roboter herstellen und kontrollieren, stellen die grössere Gefahr dar. Im Bereich künstliche Intelligenz, die wir teilweise weder sehen noch verstehen, gibt es riesige Chancen, aber auch neue Gefahren. Ob sie sich aber selber neu erfinden und weiterentwickeln kann, ist eine Glaubensfrage. All diese Gedanken habe ich in meinem Buch «Internetgott – Die Religion des Silicon Valley» verarbeitet und weiterentwickelt.

Es wird wesentlich, uns zu regenerieren, inspirieren zu lassen, uns abzugrenzen, zu erkennen, worauf wir Lust haben, was wir können und was nicht.

Joël Luc Cachelin

Zur Person

Dr. Joël Luc Cachelin (1981) hat an der Universität St. Gallen studiert und promoviert. Seit 2009 ist er Geschäftsführer der Wissensfabrik und Sachbuchautor. Sein letztes Werk «Internetgott – Die Religion des Silicon Valley» ist 2017 im Stämpfli Verlag erschienen.

Dr. Joël Luc Cachelin (1981) hat an der Universität St. Gallen studiert und promoviert. Seit 2009 ist er Geschäftsführer der Wissensfabrik und Sachbuchautor. Sein letztes Werk «Internetgott – Die Religion des Silicon Valley» ist 2017 im Stämpfli Verlag erschienen.